- Lichthaus Kino
V. WEIMARER STUMMFILM-RETROSPEKTIVE & LIVE-MUSIK
»LOB DEM LICHTSPIEL. FILME DER WEIMARER REPUBLIK IN DEN WEIMARER KINOS 1923«
Bereits im fünften Jahr in Folge erforscht die Weimarer Stummfilm-Retrospektive das lokale Leinwandgeschehen der Weimarer Lichtspielhäuser vor genau 100 Jahren. Zusammen mit international renommierten Stummfilmmusiker:innen und Gästen bietet sie einen einzigartigen Blick auf eine der einflussreichsten Phasen der Filmgeschichte und ist als festes Kulturprogramm innerhalb des Kunstfest Weimar etabliert. Den diesjährigen Höhepunkt der Retrospektive bildet die Vorführung eines Meilensteins des Weimarer Kinos mit Orchesterbegleitung durch die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach: »Der Schatz«, das Regiedebüt von Georg Wilhelm Pabst. »Lob dem Lichtspiel« - unter diesem Motto kontextualisiert die V. Weimarer Stummfilm-Retrospektive das Kinojahr 1923 zwischen Filmhighlights, wirtschaftlichen Verhältnissen und staatlichen Auflagen. Alle Hauptfilme werden getreu der damaligen Vorführungspraxis durch dokumentarische Wochenschauen aus den Beständen des Bundesarchiv-Filmarchiv ergänzt. Anschließend an jede Veranstaltung hat das Publikum die Möglichkeit, in unserer »Cine-Corner« im Lichthaus Kino mit den Veranstalter:innen und Expert:innen gemütlich über die Filme zu plaudern und zu debattieren.
CINESSAGE - Eröffnung der V. Weimarer Stummfilm- Retrospektive
Zur Cinessage wird das Programm der diesjährigen Stummfilm-Retrospektive präsentiert von: Dirk Heinje, Rolf C. Hemke, Dr. Katrin Richter, Richard Siedhoff.
»RIVALEN« | »CHAPLIN AUF DEM BUMMEL«
Jeder kannte Harry Piel, er war das männliche Idol der Nachkriegszeit in Deutschland: charmant, charismatisch, abenteuerlustig, akrobatisch und furchtlos. Ein Frauenschwarm, der es mit wilden Bestien aufnahm, Rätsel löste und Bedrängte rettete. In »RIVALEN« wird die Tochter eines Erfinders entführt. Bei der Rettung bekommt es Harry unter anderem mit einem der ersten Roboter der Filmgeschichte zu tun, aber auch der Einsatz von U-Booten trägt bei der großen Verfolgungsjagd zum Schauwert bei. Piel war auch Archivar seiner Filme, die er im Zweiten Weltkrieg verzweifelt vor den Bomben zu retten versuchte. Erfolglos - fast alle seine Filme gingen in Flammen auf und gelten heute als verschollen. Der Vorfilm bringt einen frühen Chaplin-Film aus der Produktion von Mack Sennett, in dem er im Duo mit »Fatty« Arbuckle in seiner frühen Paraderolle als Betrunkener brilliert.
»FRIEDRICH SCHILLER. EINE DICHTERJUGEND« | »FATTY ALS BÜHNENHELD«
Der große Komödienverfasser und Darsteller Curt Goetz schuf mit seiner ersten eigenen Filmproduktion einen bemerkenswerten Schiller-Film, der Pathos und Schwermut vermeidet und stattdessen das rebellische Jugendleben des Dichterhelden durchaus humorvoll erzählt. An Originalschauplätzen in Stuttgart gedreht, sieht man Friedrich Schiller als Student an der Militärakademie. Statt sich aber der Zucht und Ordnung der Karlsschule zu beugen, verliert er sich lieber in der Literatur, gibt sich Frauen hin und Geld aus. Auf die Ungerechtigkeit des absolutistischen Herzogs antwortet Schiller schließlich mit seinem Theaterstück »Die Räuber«. Der Premiere in Mannheim 1782 wohnt er verbotenerweise bei, wird entdeckt und handelt sich in Stuttgart eine Gefängnisstrafe ein. Schließlich flieht er mit dem Musiker Streicher in die Freiheit. Als Vorfilm zeigt die Stummfilm-Retrospektive den jungen Buster Keaton in einer Kurzfilm-Groteske von und mit Roscoe »Fatty« Arbuckle, die das Theaterle- ben auf und hinter der Bühne aufs Korn nimmt.
»MY BOY. DIE ERLEBNISSE EINES LIEBEN KLEINEN JUNGEN« | »›ER‹ ALS GLÜCKLICHER EHEMANN«
Jackie Coogan war der erste Kinderstar der Film- geschichte. Kein geringerer als Charlie Chaplin ent- deckte ihn für den Film. »My Boy« führt ihn mit einem von Chaplins engsten Mitarbeitern zusammen: Albert Austin führt die Co-Regie in dieser Tragikomödie »in 5 Teilen«, die vom kleinen Waisenjungen Jackie handelt, den die amerikanische Einwanderungsbehörde zurück nach Europa schicken will. Er kann fliehen und kommt bei einem alten verarmten Kapitän unter. Der Vorfilm zeigt den Komiker Harold Lloyd, der 1923 in Deutschland so populär wurde,dass man ihnvnur als »Er« annoncieren brauchte und die Originaltitel heute oft schwer zu identifizieren sind. Der Film »I Do« wurde anscheinend auch treffend als »Er als zwanzig- facher Familienvater« vertrieben und zeigt den jungvermählten Harold als unfreiwilligen Hüter seiner zahlreichen Neffen.
LIVE-MUSIK Matthias Hirth (electronic sound composition)
»LUCREZIA BORGIA«
Richard Oswald, der zuvor in einem Jahr mehr als ein Dutzend Filme gedreht hatte, beschränkte sich 1922 auf fünf Produktionen, wovon seine »LUCREZIA BORGIA« die aufwändigste war. Das Epos spart nicht an Massenszenen und Großbauten. Entstanden ist ein aufregendes Historienepos um Rache und Eifersucht in Italien um 1500. Der Film wurde 2011 vom Bundesarchiv-Filmarchiv restauriert und in seine ursprüngliche Farbgebung gebracht. Während alle bisher verfügbaren Kopien um fast eine Stunde gekürzt waren, hat der Film nun erstmals wieder annähernd seine originale Länge sowie den originalen Wortlaut der Zwischentitel. Die restaurierte Fassung erlebt beim Kunstfest Weimar seine deutsche Erstaufführung!
»DER BÖSE GEIST LUMPACI-VAGABUNDUS« | »CHAPLIN AUF DER WALZ«
Für seine Filmadaption der berühmten Posse des Wiener Dramatikers Johann Nestroy übernahm Regisseur Carl Wilhelm die Hauptdarsteller einer Inszenierung am Berliner Staatstheater 1921 und schuf einen überaus fantasievollen Film: Der Feenkönig befiehlt ein Ende des zügellosen Treibens, welches ein böser Geist namens Lumpaci-Vagabundus im Feenreich verbreitet hat. Die Feen Amorosa und Fortuna sollen Abhilfe schaffen. Der Vorfilm zeigt Charlie Chaplin ebenfalls als Vagabunden. In dieser frühen Tragikomödie wird er vom Geiger zum Erretter einer jungen Frau aus den Fängen eines brutalen Bandenchefs eines (nach heutigen Maßstäben diskriminierend dargestellten) „fahrenden Volkes“. Dennoch bleibt der Film ein Schlüsselwerk der Filmgeschichte.
LIVE-MUSIK Eunice Martins (piano)
»SCHLAGENDE WETTER« | »DIE SCHLUCHT DES TODES«
Der gebürtige Österreicher Karl Grune drehte dieses Drama teils im Ruhrgebiet, teils in expressiven Bergwerks-Kulissen. Der Film handelt von der Bergmannstochter Marie, die geschwängert vom Kindsvater verlassen von einem Grubenarbeiter aufgenommen und geheiratet wird. Als der einstige Liebhaber unverhofft wieder auftaucht und seine vermeintlichen Rechte gegenüber Marie zurückfordert, entspinnt sich ein dramatischer Kampf der beiden Männer im Bergwerksstollen. Sich ausbreitendes Grubengas („Schlagwetter“) löst eine Explosion aus, bei der die Kontrahenten verschüttet werden. Luciano Albertini war einer der großen Actionstars des europäischen Stummfilmkinos und reichte sogar Harry Piel zeitweise das Wasser. Ohne Computertricks leistete der Star gehöriges, um die Nerven des Publikums bis heute zu kitzeln: sensationelle Stunts in schwindelerregender Höhe, gedreht an den Klippen des Elbsandsteingebirges oder an riesigen Eisenbahnbrücken. Der tragische Sensationsfilm »Die Schlucht des Todes« mündet in eine spektakuläre Kletter-, Absturz- und Rettungsaktion an den Klippen der »Schlucht des Todes«.
LIVE-MUSIK Eunice Martins (piano)
»FEDERICUS REX, TEIL 4: SCHICKSALSWENDE« | »FATTY ALS LIFTBOY«
Nach dem Ersten Weltkrieg streichelten zahlreiche Filme über den siegreichen „Alten Fritz“ die patriotisch gedemütigte Psyche der deutschen Bevölkerung. Die Verkörperung ihrer konservativen Sehnsucht fand sie in Otto Gebühr, der den Preußenkönig bis 1942 in insgesamt zwölf Filmen darstellte. Die Stummfilm-Retrospektive beschränkt sich auf Teil 4 der Tetralogie von 1922/23, in dessen Mittelpunkt der Beginn des Siebenjährigen Krieges steht, bei dem Friedrich II. aus der Schlacht von Leuthen 1757 trotz militärischer Unterlegenheit siegreich hervorgeht.
Als Vorfilm lief vor 100 Jahren nur selten etwas thematisch Passendes. Daher sehen Sie an dieser Stelle eine der ausgereiftesten »Fatty«-Arbuckel-Komödien, in welcher der junge Buster Keaton auch hinter der Kamera schon deutliche Spuren hinterließ.
LIVE-MUSIK Tobias Rank (Piano) & Izabela Kalduńska (Violine)
»DIE WEISSE WÜSTE« | »LARRY SEMON BELEBT DEN KLEINHANDEL«
Der Hamburger Tierpark von John Hagenbeck machte in den 1920er Jahren auch durch eine Reihe von Spielfilmen auf sich aufmerksam, in denen die „wilden“ Tiere des Zoo ins Rampenlicht gestellt wurden. »Die weiße Wüste« spielt im Packeis der Polarregionen. Björn und Sigurd finden sich auf dem Robbenfangschiff des brutalen Kapitäns Gaustad wieder. Ein Wirrwarr von Intrigen und Machtspielen beginnt und endet nach Liebesabenteuern und Missbrauch in Meuterei und Schiffbruch. Neben beeindruckenden Interieurs auf dem Schiff besticht der Film durch seine malerische Landschaftsfotografie.
Der Vorfilm bringt einen Zweiakter von und mit dem seinerzeit sehr populären amerikanischen Filmkomiker Larry Semon. Seine Komödien zeichnen sich weniger durch Dramaturgie und Logik, umso mehr durch tempo-und actionreichen Slapstick aus.
»DER SCHATZ« | »DAS GEHEIMNIS DER MARQUISE«
Georg Wilhelm Pabst, Fritz Langs großer Antipode, dessen Filme die menschlichen und sexuellen Abgründe ausloteten, gelang mit seinem Film-Regiedebüt ein Werk von raffinierter Klarheit. In expressionistischen Kulissen, die an Paul Wegeners »GOLEM« von 1920 erinnern, trifft mittelalterlicher Aberglaube auf neue Sachlichkeit. Während des Rückzugs der osmanischen Türken vom Balkan 1683 soll im alten Glockengießerhaus ein Schatz vergraben worden sein. Der jugendliche Goldschmied Arno kommt zum Glockengießer und gewinnt schnell das Herz der Tochter des Hauses. Sehr zum Ärger des Gesellen Svetelenz. Das Buhlen um die Tochter stößt eine Schatzsuche an, bei der die Wünschelrute moderner Mathematik unterliegt. Ein symbolischer Kampf, an dessen Ende alles Alte unter den Trümmern des Hauses begraben wird.
Für die Uraufführung des Streifens in Dresden komponierte der Komponist und frühe Schönberg-Schüler Max Deutsch in Abstimmung mit dem Regisseur eine opulente und raffinierte Musik für Kino-Orchester. Für die Restaurierung des Films 1999 rekonstruierte Frank Strobel die Partitur, die der Komponist als »Filmsymphonie in 5 Akten« betitelte, und die ohne Film aufgeführt werden kann. Eröffnet wird das Konzert mit einem Stück Werbe-Geschichte: Ein Nivea-Werbespot aus dem Jahre 1921, am Tricktisch inszeniert von der Trickfilmpionieren Lotte Reiniger. Die Orchestermusik hierfür schrieb der Weimarer Stummfilmmusiker Richard Siedhoff 2021.
LIVE-MUSIK Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach
DIRIGENT Burkhardt Götze
ORIGINAL-MUSIK Max Deutsch (1923)
CHAPLIN, LLOYD, FATTY & KEATON KINDER- UND JUGENDPROGRAMM MIT DEN MEISTERN DES SLAPSTICKS
Familien- und Jugendvorstellungen waren vor 100 Jahren fester Bestandteil der Kino-Spielpläne. Neben Märchenfilmen wie »DER KLEINE MUCK« und monumentalen Werken wie »CABIRIA« stand auch »DER BÖSE GEIST LUMPAZI-VAGABUNDUS« auf dem Programm. Slapstick-Komödien galten damals für junge Zuschauer:innen noch als eher ungeeignet. Heute kommen diese Filme aber in besonderer Weise in Frage, um Menschen an die Kunst des stummen Films heranzuführen.
Die Stummfilm-Retrospektive präsentiert die Großmeister des Slapsticks in drei rasanten Komödien. Und da die Filme stumm sind,darf das junge Publikum nach Herzenslust kommentieren, johlen und lachen! Anschließend an die Veranstaltung gibt es einen Blick hinter die Kinokulissen in den Projektionsraums des Kinos inklusive eines echten Filmschnipsels zum Mitnehmen.
LIVE-MUSIK Ekkehard Wölk (Piano)
Die Stummfilm-Musiker:innen
Burkhard Götze
Burkhard Götze ist Dirigent, Arrangeur und Posaunist. Seit einigen Jahren hat er sich auf das Dirigat von Stummfilmmusiken spezialisiert und mit dem METROPOLIS ORCHESTER BERLIN das erste Kino-Orchester auf europäischem Boden gegründet.
Matthias Hirth
Der studierte Jazz-Pianist, Komponist und Musikpädagoge Matthias Hirth aus Dresden begleitet seit 2002 Stummfilme. Sein musikalisch vielseitiges Repertoire reicht von Jazz über elektronische Musik, Neoklassik bis Salsa und Latin. International gastierte er unter anderem beim Festival de Cine Alemán in Madrid. Er ist Kurator der Dresdner Stummfilmtage.
Eunice Martins
Eunice Martins ist seit 2000 Hauspianistin des Arsenal Kino, Berlin. Sie hat Lehraufträge an zahlreichen Universitäten und Hochschulen, gibt Workshops und ist auch in performativen Künsten zu Hause. Sie hat ein großes Repertoire an Stummfilmen, die sie bereits vertont hat und gastiert auf den wichtigsten internationalen Stummfilm-Festivals.
Tobias Rank
Tobias Rank gründete 1999 zusammen mit Gunthard Stephan das Wanderkino: Mit einem Oldtimer-Feuerwehrfahrzeug und alten Projektoren ist dieses mobile Stummfilmkino in ganz Europa unterwegs. Dieses Jahr tritt er zusammen mit Izabela Kałduńska auf. Der studierte Musiker und Tontechniker führt das Plattenlabel »Raumklang Music« und ist Mitglied des auf mittelalterliche Musik spezialisierten Ensembles »Montalbâne«.
Richard Siedhoff
Pianist und Komponist Richard Siedhoff gilt als einer der gefragtesten Nachwuchstalente unter den Stummfilm-Musiker:innen. Seit 2008 hat er weit mehr als 300 Stummfilme am Klavier begleitet, gastiert regelmäßig auf internationalen Festivals, ist auf zahlreichen DVD- Einspielungen vertreten und schreibt auch Orchesterpartituren und Kammermusiken für Stummfilme.
Mykyta Sierov
Mykyta Sierov wurde in Kyiv geboren, studierte klassische Oboe am dortigen Konservatorium und an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Er ist begehrter Orchester- und Solomusiker, komponiert und ist auch im Jazz zu Hause. Neben seiner musikalischen Tätigkeit arbeitet er als Kameramann und Filmemacher.
Gabriel Thibaudeau
Der kanadische Komponist, Pianist und Dirigent Gabriel Thibaudeau ist Pianist bei Les Grands Ballets Canadiens, seit 30 Jahren Pianist an der Cinémathèque Québécoise und über 20 Jahre Composer in Residence bei L'Octuor de France. Thibaudeaus Werk umfasst Musik für Ballett, Oper, Kammermusik und mehrere Orchesterkompositionen für Stummfilme.
Ekkehard Wölk
Der gefragte Jazzpianist Ekkehard Wölk gewann mehrere Preise als Komponist und Arrangeur, schrieb Musik für Radio und veröffentlichte sieben CDs. Mit seinem Jazz-Trio gastiert auf internationalen Festivals. Seit 20 Jahren ist er zudem ein begehrter Stummfilmpianist und auf mehreren DVDs zu hören und zu sehen.