27.03.2022

BOTSCHAFT ZUM WELTTHEATERTAG

Der Welttheatertag am Sonntag, 27. März steht in diesem Jahr im Zeichen des Kriegs in der Ukraine. Seit dem brutalen Angriff der russischen Armee am 24. Februar ist die Friedensordnung der letzten Jahrzehnte zerstört. Der Deutsche Bühnenverein und viele seiner Mitglieder stellen aus diesem Anlass die Solidarität der Theater und Orchester mit den Menschen aus der Ukraine in den Mittelpunkt.

Gemeinsam mit dem International Theatre Institute ITI Germany hat der Deutsche Bühnenverein die ukrainische Dramatikerin Natalia Vorozhbyt gebeten, ausgehend vom Bild des zerstörten Theaters in Mariupol, ein Statement zu verfassen:

 

Botschaft von Natalia Vorozhbyt zum Welttheatertag 2022  Hier sehen Sie die Videoaufzeichnung der Botschaft)

Die letzten acht Jahre beschäftigen sich praktisch alle ukrainischen Theaterleute, und eigentlich alle ukrainischen Künstler mit dem Krieg. Seit 2013 machen wir das und ich bin ehrlich davon ausgelaugt, ich würde so gerne etwas Anderes machen.

Doch gerade jetzt ist klar, dass wir mit unserer gesamten Schaffenskraft dazu gezwungen sein werden, uns nur mit diesem Thema zu beschäftigen, das sich Angst und Ungerechtigkeit in der Zone des Schmerzes und der Verzweiflung befinden.

Schaut euch die Fotos an: Auf einem kann man das Theater in Mariupol sehen, und auf dem anderen nur noch seine Ruine. Auf dem Foto sieht man es nicht, aber unter der Ruine befindet sich ein Luftschutzraum, dort versteckten sich hunderte, fast tausend Menschen, Zivilisten, Kinder. Manche kamen noch heraus, andere bleiben für immer dort.

Die Knöpfe, die die Raketen in Marsch setzen auf unsere Theater, Städte, Menschen, werden von den Fingern gewöhnlicher Russen gedrückt, um uns zu vernichten. Sie begehen bewusst einen Genozid an den Ukrainern und das im 21. Jahrhundert, heute.

Wir feiern dieses Jahr nicht den Welttag des Theaters, wir werden keine Feste feiern, Feiertage begehen. Wir rechnen nur die Tage des Kriegs und unser erster Feiertag wird der Tag des Sieges sein. Aber es ist sehr schwer für uns zu siegen.

Ich bitte Sie um Unterstützung – in Wort und Tat und nicht zu vergessen, dass auch die russische Intelligenz Verantwortung für das trägt, was gerade in der Ukraine passiert.

Ich bitte Sie, sich nicht an diesen Krieg zu gewöhnen, sich nicht an das Böse zu gewöhnen. Wir sind Nachbarn auf derselben europäischen Straße, wir haben gemeinsame Theater, gemeinsame europäische Werte. Lassen Sie uns gemeinsam die Werte an der Kunstfront verteidigen, bis wir gewinnen!

Danke!

 

Natalia Vorozhbyt studierte am Institut für Literatur in Moskau und hat an Autorenprogrammen in Iowa und London teilgenommen. Ihre Stücke werden in der Ukraine, Russland, Litauen, Polen, Großbritannien, Deutschland und den USA gezeigt und in neun Sprachen übersetzt. Natalia Vorozhbyt ist zudem als Autorin für Film und Fernsehen tätig. 2017 wurde am Royal Court ihr Stück »Bad Roads« uraufgeführt, das ebenso wie »Monolog Nr.1« den Ukrainekonflikt, insbesondere die Auswirkung des Kriegs auf die Frauen, zum Thema hat.

 

Erklärung des Deutschen Bühnenvereins zum Welttheatertag 2022

Der Welttag des Theaters soll die Kraft der Kunst und des Spiels ins Bewusstsein der Gesellschaft rufen. Er erinnert daran, welche Möglichkeiten in der Einfühlung in andere, in der Spekulation über Alternativen und in der Auseinandersetzung mit der Welt um uns herum liegen. Seit 60 Jahren zeigt er, zu welchen kulturellen und zivilisatorischen Leistungen Menschen fähig sind, wenn sie sich ihre schöpferischen Fähigkeiten bewusst machen.

Das ist umso wichtiger, wenn die Welt wie derzeit voll ist von Bespielen für die zerstörerische Kraft des Menschen. Fassungslos müssen wir zusehen, wie Russland einen barbarischen Krieg gegen die Ukraine und die dortige Zivilbevölkerung führt und so die Friedensordnung der letzten Jahrzehnte zerstört. »Der Krieg soll verflucht sein« – seit Beginn des russischen Angriffs prangt dieser Satz aus »Mutter Courage und ihre Kinder« über vielen Bühnen und Veranstaltungen. Er fordert heraus, nicht in Schockstarre zu verharren.

Der Welttag des Theaters ist im Jahr 2022 eine Aufforderung zur Hilfe und zur Tat. Die Theater und Orchester stellen sich ihrer Verantwortung. In zahlreichen spontanen Veranstaltungen haben sie unmittelbar versucht, dem Entsetzen Form, dem Gesprächsbedürfnis Forum, dem Wunsch nach Trost Raum zu geben. Und sie haben angefangen, Unterstützung für die Ukraine zu organisieren, Kooperationen zu stärken und Geflüchteten praktisch zu helfen.

Vor allem aber bemühen wir uns in diesen Tagen, die Zuversicht in die aufklärerische Kraft kultureller Begegnung und künstlerischer Zusammenarbeit zu wahren. Wir wollen Perspektiven des Menschlichen stärken. Wir suchen auf allen möglichen Wegen die Nähe zu ukrainischen Künstlerinnen und Kreativen, um ihre Arbeit zu unterstützen. Wir wenden uns entschieden gegen einen pauschalen Boykott russischer Kunst. Denn gerade jetzt braucht es den Mut zur Differenzierung. Der russische Staat und das System Putin können derzeit keine Partner sein, sehr wohl aber jene zivilgesellschaftlichen und künstlerischen Kräfte, die für eine offenere Gesellschaft auch in Russland eintreten. Sie brauchen Unterstützung in ihrem Bemühen um eine bessere Zukunft.

Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein Krieg gegen die Idee einer offenen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Er richtet sich auch gegen die Fundamente freier Kunst. Wir stehen daher am Welttag des Theaters an der Seite all derjenigen, die Freiheit, Frieden und Verständigung verteidigen – in Wort und Tat. Und wir tun dies in dem Bewusstsein, dass wir diese machtvolle Idee der Freiheit auf der ganzen Welt auch dadurch stärken können, dass wir sie in unserem eigenen Land in Anspruch nehmen. Tagtäglich zeigen wir auf vielen Bühnen im Spiel, dass die Welt zum Besseren veränderbar ist. Durch das wilde Denken und die kreative Leidenschaft der Künstlerinnen und Künstler. Auf diese Zuversicht kommt es an!

Dr. Carsten Brosda
Präsident des Deutschen Bühnenvereins

 


SPENDENAKTION

Wir sammeln Spenden für in Not geratene Menschen in der Ukraine. Weitere Informationen, wie Sie uns dabei unterstützen können, finden Sie hier.