01.09.2021

Gespräch mit der neuen Operndirektorin

Andrea Moses, ab Spielzeit 2021/2022 Operndirektorin am DNT Weimar, im Gespräch mit Detlef Brandenburg, Chefredakteur des Theatermagazins »Die Deutsche Bühne«

 

 

Liebe Andrea, Du hast, unter anderem in Dessau und Stuttgart, Erfahrungen mit Institutionen und verschiedenen Aufgaben innerhalb derselben gemacht – auch ambivalente Erfahrungen. Zuletzt warst Du seit ein paar Jahren frei tätig, abgesehen von der Gastprofessur an der Hochschule »Ernst Busch«. Was motiviert Dich, hier in Weimar wieder eine ja doch durchaus große Verantwortung zu übernehmen?

Es gab in den letzten Jahren einige Anfragen wegen Intendanzen. Ich habe mich nach reiflichen Überlegungen dann doch zurückgehalten und weiter meine künstlerischen und pädagogischen Aufgaben enthusiastisch verfolgt. Mit der Corona-Pandemie kam der unglückliche Abbruch oder die Verschiebung meiner Regieprojekte in Darmstadt, Bern und Bilbao; doch zugleich auch der Anruf von Hasko Weber, den ich seit vielen, vielen Jahren kenne und sehr schätze – eine besonders glückliche Fügung! Denn ich übernehme die Operndirektion auch von Hans-Georg Wegner, mit dem ich seit Jahrzehnten eine intensive Arbeitsbeziehung und Freundschaft pflege und der letztlich dafür gesorgt hat, dass ich als Schauspielregisseurin überhaupt zur Oper gekommen bin.

 

Du kennst dieses Theater ja auch schon durch mehrere vielbeachtete Regiearbeiten, hast hier als Gastregisseurin unter anderem Puccinis »Turandot«, Mussorgskys »Chowanschtschina«, Webers »Freischütz« oder die Uraufführung der Oper »The Circle« von Ludger Vollmer auf die Bühne gebracht. Wie hast Du das Theater und die Stadt mit ihren Menschen erlebt?

Weimar ist ein ganz besonderer Ort. Ich bin immer voller Freude, aber auch mit großer Spannung hierher zurückgekehrt, weil Weimar mit seiner Polarität zwischen Deutscher Klassik, den Werten des Humanismus, der Aufklärung und dem ultimativen Schrecken von Buchenwald eine*n Künstler*in inhaltlich enorm herausfordert. Man kann hier keine Kunst machen, ohne die Stadt und ihre Vergangenheit mitzudenken und damit auch mit seiner eigenen, persönlichen Geschichte existentiell konfrontiert zu werden.

Im Theater selbst sprechen die Leute meine Sprache. Das ist ein unglaubliches Pfund. – Ich glaube sagen zu dürfen: Es gibt eine starke beiderseitige emotionale Beziehung und eine hohe gegenseitige fachliche und menschliche Wertschätzung.

 

Die Stadt und ihr Umland haben eine Menge von strukturellen und politischen Problemen. Wird das auf der Opernbühne eine Rolle spielen?

Natürlich gehören alle Themen und Debatten, die uns gesamtgesellschaftlich gegenwärtig beschäftigen, auch auf die Opernbühne. Ob das die sich mehr und mehr verschärfende soziale Frage, der Rechtsruck der Gesellschaft oder die drängenden Fragen zur Klimakatastrophe sind, um nur die wesentlichsten zu benennen. Auch wenn es Opernliebhaber*innen und Kritiker*innen gibt, die diesen Teil der notwendigen Weltbetrachtung lieber außerhalb des Elfenbeinturms ›Oper‹ sehen wollen und sich eher dem Genuss und der dem Medium innewohnenden Kulinarik hingeben wollen, geht es doch um die künstlerische Ansprache an eine aufgeklärte Bürgergesellschaft. Unsere Zuschauer*innen sind fähig zu erkennen und zu handeln.

 

Die Gattung Oper steckt vielerorts in einer Legitimationskrise. Gerade wurde auf der Jahrestagung der renommierten Forschungsgruppe »Krisengefüge der Künste« nochmal dargelegt, dass sie in den letzten Jahren immer mehr an Relevanz und auch an Zuschauerinnen und Zuschauern eingebüßt hat. Wie sähe vor diesem Hintergrund ein zeitgemäßes Musiktheater für Weimar aus?

In der ersten Spielzeit geht es mit Verdis »Aida« um die aktuelle Dekolonialisierungsdebatte. Die Inszenierung verhandelt die Konflikte des Stücks im Lichte der Auseinandersetzung um die sogenannte Raubkunst. Nachdem wir uns als Team vorgenommen hatten, diesen blinden Fleck der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte freizulegen, war das Thema plötzlich hochaktuell in Medien und Politik. Um das Humboldt-Forum in Berlin skandalfrei eröffnen zu können, wurde die Rückgabe der Bronzen aus Benin verabredet. Bei den Bemühungen um Aufarbeitung dieses dunklen, bis heute nachwirkenden Kapitels deutscher Geschichte begleitet so unsere Inszenierung die Politik und die Politik unsere Inszenierung.

Detlev Glanerts »Caligula« nach Albert Camus folgt und ist der Stoff nach Trump oder vor Trump, ganz wie es die Optimist*innen oder Pessimist*innen unter uns sehen möchten... Und die Operette »Die Prinzessin von Trapezunt« spiegelt das manchmal auch höchst ambivalente Verhältnis der Künstler*innen zu Macht und Privilegien, ohne dabei unangenehm moralisch zu werden. Offenbach feiert sich, uns und die Selbstironie.

Wir haben also Werke für unser Programm ausgesucht, die sich sowohl unmittelbar mit der Gegenwart kurzschließen lassen als auch Spekulationen auf die Zukunft gestatten.

 


ab 5. September im Programm

 

Wo Andrea Moses draufsteht, ist auch Andrea Moses drin: Dich prägt eine tiefe Überzeugung von der politisch-sozialen Relevanz des Musiktheaters. Mit welchen künstlerischen Mitteln kann man diese Relevanz beglaubigen und dennoch der Oper als Kunstform gerecht werden?

Wenn ich für meine Arbeiten sage, die Handlungszeit ist immer die Gegenwart, heißt das, dass sich dies in inhaltlichen und ästhetischen Entscheidungen auf der Bühne niederschlägt. Nach einem langen und langwierigen Prozess der Beschäftigung mit der vorliegenden Musik und dem Libretto im Kontext ihrer Entstehungszeiten leitet sich die Wahl der Mittel aus diesen Erkenntnissen und der zu beobachtenden eigenen heutigen Wirklichkeit ab. Ich dekonstruiere die Vorlage nicht, sondern schaffe eine neue Fabel, in der die alte inkludiert ist und von der Musik umfasst wird.

 

In Deiner künstlerischen Arbeit hast Du Dich immer wieder auch für weibliche Themen und Schicksale interessiert, ebenso auch für interessante Künstlerinnen. Wird sich das in Deiner Programmatik für Weimar niederschlagen?

Meine erste selbst zu gestaltende Spielzeit am DNT wollte ich reflexhaft zunächst nur mit Regisseurinnen bestreiten, die ihre Sicht auf große Frauencharaktere entwickeln sollten. Dann habe ich mich bewusst dagegen entschieden und die Stoffauswahl angesichts der Vielfalt der drängenden Themen erweitert. Nun suchte ich Künstlerinnen und Künstler, deren Handschriften ich für die jeweiligen Stoffe als richtig empfinde. Das entspricht viel mehr meinem Ansatz, die Welt als universalistisches Ganzes zu sehen ...

Die meisten Opernstoffe verhandeln die Geschlechterverhältnisse auf verstörend traditionelle Weise und müssen deshalb auf der Bühne als in ihrer Zeit verhaftet gezeigt, aber unbedingt auf den Widerhall im Heute untersucht und mit einer neuen Perspektive versehen werden. Sie müssen auf der Bühne genauso wie in der Gesellschaft immer wieder neu verhandelt werden. Ich glaube, Gegenwart kann man nur aus dem Wissen um die Geschichte heraus verändern.

 

Du möchtest hier ein ziemlich ambitioniertes Opernfestival starten. Kannst Du darüber schon etwas sagen?

An meiner Seite und als mein Stellvertreter wird Regisseur und Dramaturg Michael Höppner mit nach Weimar kommen, den ich aus Berliner Hochschulzusammenhängen kenne und der in der Berliner OFF-Szene hochinteressante Arbeiten selbst inszeniert oder die Arbeiten junger Absolvent*innen der Musikhochschule »Hanns Eisler« dramaturgisch betreut hat. Durch mein Interesse am Werdegang meiner ehemaligen Studierenden sind wir uns mehrfach begegnet und inzwischen auch zu einem künstlerischen Team geworden.

Ich freue mich auf die erste Ausgabe unseres Festivals »Passion :SPIEL« als eine vom DNT großartig unterstützte neue Experimentierstrecke mit dem Charakter einer Werkstatt. »Passion :SPIEL« soll die Neuproduktionen in unserem klassischen Opernspielplan spiegeln, den Blick öffnen und weiten auf andere aktuelle Musiktheaterformen und -produktionszusammenhänge, zeitgenössische Kompositionen in den Vordergrund rücken, den Nachwuchs fördern, mit den Musikhochschulen in Weimar und Leipzig intensiv zusammenarbeiten und mit all dem belebend in die Stadt hinein- und erfrischend auf das DNT und seine Ensembles zurückwirken.

 

Wahrscheinlich wirst Du nicht umhinkommen, Dich mit den Fragen eines infektionshygienisch praktikablen Opernbetriebes auseinanderzusetzen. Was bedeutet das für die Stücke, die Du spielen möchtest? Und für die Art, wie Du sie spielst?

Wir wollen nicht auf die großen Opernstoffe verzichten und haben deshalb alle Inszenierungen mit der Bedingung in Auftrag gegeben, dass die Abstandsregeln eingehalten werden können. Darauf müssen alle Künstler*innen bei der Konzeption ihrer Bühnenbilder und der Chordramaturgie achten, sehr stark mit Musiktheater-Chefdirigenten Dominik Beykirch und Chordirektor Jens Petereit zusammenarbeiten, da große Opern ja sehr personenintensiv sind und sich nicht einfach ohne Verlust von Wirkung auf einige wenige Solist*innen und Instrumentalist*innen zusammenstreichen lassen. Aus meiner Sicht sollen alle dem Material innewohnenden Narrative trotz Corona erzählt werden, und das fordert unser aller Kreativität wirklich heraus, auch die Spielweise wird sich dem natürlich anpassen müssen ... Ungeachtet dessen bin ich sicher, dass wir auf absehbare Zeit wieder ohne Einschränkungen Theater machen und erleben werden können!

 


Mehr Interviews finden Sie in unserem aktuellen Magazin

 

Du bist ja jetzt nicht nur als Regisseurin gefragt, sondern auch als Schöpferin eines Ensembles von Sängerinnen und Sängern. Was sind das für Menschen und Künstlerpersönlichkeiten, mit denen Du hier arbeiten möchtest?

Nun bin ich ja in der sehr privilegierten Lage, viele der engagierten Sängerinnen und Sänger schon in der Arbeit erlebt zu haben und deshalb auch ein für ihre Qualitäten passendes Programm machen zu können. Ich freue mich auf die Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit mit diesen Künstler*innen und bin hoch gespannt auf die direkten und analogen Begegnungen mit denen, die ich bisher noch nicht persönlich kennenlernen durfte...

 

Magst Du schon sagen, welche Regisseurinnen und Regisseure neben Dir hier in Weimar arbeiten werden?

Es war mir eine unglaubliche Freude, für die erste Spielzeit Dirk Schmeding einladen zu dürfen, der in Weimar als Assistent angefangen hat, den ich bei »Turandot« an meiner Seite hatte und der sich über die gemeinsame Zeit in Dessau und Stuttgart zu einem inzwischen sehr gefragten jungen Regisseur entwickelt hat, ebenso die ganz junge Künstlerin Anna Sophie Weber, eine ausgemachte Operettenspezialistin und Absolventin der »Hanns Eisler« in Berlin.

Von dort kenne ich auch Julia Lwowski, die mit ihrem Musiktheaterkollektiv »Hauen und Stechen« in der Musiktheaterszene mit innovativen Opernüberschreibungen reüssiert, und Marielle Sterra von »glanz & krawall«, die bekannt sind für ihre unkonventionellen und partizipativen Opernspektakel – beide Frauen werden neben Michael Höppner das Festival ästhetisch prägen.

In der zweiten Spielzeit erleben wir dann u. a. Arbeiten der ›alten Meister‹ und international gefeierten Regisseure wie Calixto Bieito, Jossi Wieler, Sergio Morabito und einzigartige Künstler*innen wie Anna Viebrock sowie Stücke, die wie für sie gemacht sind – was genauso aufregend wird und worüber ich naturgemäß genauso glücklich bin.

 

Es wird derzeit viel über Machtfragen am Theater diskutiert. Nun gehörst Du selbst zu den Mächtigen. Wie willst Du mit Deiner Macht umgehen?

Das Wichtigste in meiner Doppelrolle als Operndirektorin und Regisseurin scheint mir die Initiation einer vertrauensvollen und immer aktiv-lebendigen Kommunikation am Haus zu sein. Oper als Gewerk hat durch die große Anzahl von involvierten Personen die Eigenart, dass zwischen allen Leiter*innen der Kollektive – also des Orchesters, des Chores, des Sänger*innen-Ensembles – und den verschiedenen Abteilungen des DNT sehr gut kommuniziert und abgestimmt werden muss. Alle inhaltlichen und organisatorischen Entscheidungen treffe ich deshalb im Team. Das ist zeitaufwändig, aber wichtig für mich.

Die Machtfrage steht aufgrund von Missbrauch besonders im hierarchisch organisierten Theaterbetrieb zu Recht im Fokus, aber eine so komplizierte Struktur wie das Musiktheater braucht Leitung, um die Arbeit aller Beteiligten professionell und erfolgreich organisieren zu können. Natürlich haben bestimmte Entscheidungen, zum Beispiel in personellen Fragen, den unpopulären Nachteil, dass sie für oder gegen jemanden getroffen werden müssen. Bei solchen Entscheidungen aber möglichst transparent zu bleiben, sich zu beraten und offen und ehrlich zu kommunizieren, ist ebenfalls ein hoher persönlicher Anspruch, den ich verfolge. – Ich habe in meiner Künstlerinnenbiographie viele verschiedene Arten von Machtmissbrauch erlebt; Macht ermöglicht nicht nur gestalterischen Freiraum, Macht korrumpiert auch und verändert die Personen, die sie ausüben. Dessen muss man sich in einer Leitungsposition immer bewusst bleiben. Ich denke, ich habe in Weimar ein Umfeld, das mir sagen wird, wenn ich mich verändere und das selbst nicht bemerke.

 

Würdest Du Thesen wie denen von Thomas Schmidt oder dem ensemble-netzwerk zustimmen, die die Theater für machtverseucht und die Arbeitsverhältnisse für Theaterkünstler als prekär und würdelos kritisieren?

Ich habe Theater auch als Ort der Förderung von Talenten und der Ermöglichung von radikalen theatralen Untersuchungen für den Umbau von gesellschaftlichen Strukturen erlebt. Ich denke, dass inzwischen durch die laufenden Debatten und Enthüllungen alle am Theater Arbeitenden so sensibilisiert sind, dass sie die Verhältnisse, in denen sie leben und arbeiten wollen, aktiv mitgestalten und sie zum Tanzen bringen! Ich halte aber nichts vom Klima der Hexenjagd und von selbstzerstörerischen und destruktiven Fehden, die das wichtigste und einzige Produktionsmittel, was wir haben, die Bühne, dem Rotstift der Politiker*innen ausliefern. Beeindruckt hat mich in dem Zusammenhang das Wort der Berliner Diversitätsagentin Sonja Baltruschat von der »Fehlerfreundlichkeit«, die wir uns im Prozess der Fehleranalyse zugestehen sollten. Nicht nur das Wirkliche und Notwendige muss in einer gemeinsamen Kraftanstrengung besprochen werden, sondern auch das Mögliche gesucht.

 

Spielen für Dich Konzepte oder Vorstellungen eines weiblichen Führungsstils eine Rolle? Worin bestünde der? Wie willst Du das umsetzen?

Empathie und erhöhte Aufmerksamkeit für die Mitarbeiter*innen und deren Belange sollten nicht nur die Qualität eines weiblichen Führungsstils sein.

Ich möchte meine Gespräche in alle Richtungen intensivieren und dabei auch die Zuschauer*innen mit einbeziehen. Wir planen zu jeder Neuproduktion einen »Talk im Elfenbeinturm« mit Expert*innen der Wirklichkeit und Nach(t)gespräche. Das sind Formate, die ich schon an der Staatsoper Stuttgart erfunden habe und die unsere künstlerischen Auseinandersetzungen auch in Weimar bereichern sollen.

 

Du hast drei Wünsche frei für Deine Operndirektion in Weimar. Welche wären das?

Erstens: Offenheit und Fantasie für neue Veranstaltungsformate, die mit den digitalen Entwicklungen angesichts gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen Schritt halten und trotzdem das Analoge und Direkte unserer Kunst im Kern bewahren.

Zweitens: Ein politisch wachsames und streitlustiges Ensemble.

Drittens: Ein respektvoller Umgang zwischen allen. (Und Viertens: Insgesamt ein bisschen mehr Humor.)